Magda Zeitzeugin der Shoah
In Birkenau winkte eine Sterbende mich zu sich hin. Sie öffnete ihre Hand. Darin lagen vier Stückchen verschimmeltes Brot. “Nimm”, hauchte sie. “Du bist jung. Du musst leben. Du musst das bezeugen, das aller hier. Damit es nie wieder geschieht, nirgendwo. »
Ich habe diese vier Stückchen Brot genommen. Ich habe sie gegessen, vor ihren Augen. Ich has in ihren Augen, dass sie gütig war – und dass sie sich aufgegeben hatte. Ich war sehr jung. Es war fast zu viel für mich, was sie mir gegeben – und damit aufgetraben – hatte.
Lange Zeit hatte ich dieses Erlebnis vergessen.
1978 behauptete der französische Journalist, militante Antisemit and rechtsextreme Politiker Darquier de Pellepoix : “In Auschwitz wurden nur Läuse vergast.” Die Empörung über diese perverse Behauptung legte meine Erinnerung an jenes Erlebnis frei. Ich sah wieder das Gesicht dieser Frau. Ich konnte nicht länger schweigen.
Auftritte in der Öffentlichkeit sind mir eine Last. Aber ich muss das auf mich nehmen – nicht als “ Pflicht gegen das Vergessen”, sondern als Treue zur Erinnerung an jene Frauen and Männer, die vor meinen Augen ausgerlöscht wurden.
Als ich abtransportiert wurde, war ich sechzeln Jahre alt. Ich war unter den ungarischen Juden eine der ganz wenigen Zurückgekehrten.
Ich blieb verschont.
Ich bin am Leben.
Ich habe Ja zu meinem Leben gesagt.
Es ist für mich völlig klar, dass diese Todeserinnerung in ein Ja zum Leben verwandelt werden musste. Ich habe begriffen : Frieden wird nur sein, wenn jeder von uns Freude an seinem Leben gewinnt oder windergewinnt.
Bedachtsam blättere ich im Buch meines Lebens. Es enthält leere Seiten, vergilbte, verblasste und stille, die darauf warten, gelesen zu werden.
Das Morgen liegt un meinen Händen.
Mein Gedächtnis war eingefroren.
In einem langen Prozess der Verarbeitung ist es aufgetaut.
Heute werden meine Tage von den leuchtenden Farben des Herbstes erhellt. »
Magda HOLLANDER LAFON, Vier Stückchen Brot.
Original title of the French first edition: Magda Hollander-Lafon; Quatre petits bouts de pain, Des ténèbres à la joie © Éditions Albin Michel, Paris, 2012
© German translation, 2013 by adeo Verlag in der Gerth Medien GmbH, Asslar, a division of Verlagsgruppe Random House GmbH, Munich, Translation: Michael Kogon; reprinted by kind permission of the publisher
Magda als Kind einer jüdischen Familie in Zahony, Ungarn, geboren.
Im April 1944 wurde sie mit 16 Jahren ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. 350 000 ungarischen Juden wurden dort sofort nach ihrer Ankunft umgebracht, darunter auch Magdas Mutter und ihre Schwester. Sie selbst überlebte, studierte und wurde Kinderpsychologin. 1950 in Brüssel christlich getauft, empfindet sie sich gleichzeitig aber auch wie vor als Jüdin. Sie hat vier Kinder und elf Enkelkinder.